Denkraum Kunstgeschichte

 Epochenüberblick

Rokoko

"Mit dem in der Kunstgeschichte gebräuchlichen Epochenbegriff Rokoko (frz. rococo) wird die Zeitspanne etwa zwischen 1715/1730 und 1770/1780 als europäisches Kultur- und Stilphänomen bezeichnet, das von Frankreich ausgehend vornehmlich in Kunst, Kunsthandwerk und Architektur, teilweise auch in der Literatur  - in der galanten Literatur, Anakreontik, Schäferdichtung und Idyllen – manifest ist, eine Übertragung des Begriffs und Phänomens auf die Musik dieser Zeit ist hingegen deutlich schwieriger. Eine zeitgenössische Theorie oder Charakterisierung des Rokoko  gibt es nicht. Der Begriff ist, darin vergleichbar mit dem Barock, ein Resultat der  Rokoko-Kritik, die mit Kriterien des guten Geschmacks argumentierte.

Der Begriff Rokoko wird auf die sprachliche Verbindung von franz. Rocaille (muschelförmiges Ornament, s.u.) und ital. Barocco (als Bezeichnung der Kunstepoche) zurückgeführt, das 1796/97 abwertend durch den Maler Maurice Quai im Atelier seines Lehrers Jacques-Louis David geprägt worden sein soll. Im pejorativen Sinne pauschal auf die Kunst der Zeit Ludwig XV. (reg. 1715-1774) bezogen wurde der Begriff Rokoko erstmals bei Stendhal 1828. Der Dictionnaire de l’Académie in Frankreich nahm Rokoko erst 1842 als Terminus auf.

Zur Binnenperiodisierung des Rokoko werden vor allem in Frankreich die Abschnitte Regence (1715-1723), Louis XV (Louis-quinze, 1723-1774) und das frühe Louis XVI (Louis-seize, 1774-1794) verwendet (z.B. in Bezug auf die Möbelkunst). Kritiker sprechen bisweilen vom style moderne (seit 1715 in Absetzung zu Louis XIV), genre pittoresque und style rocaille (beides ab etwa 1730 für die zweite Phase des Rokoko) oder style Pompadour (als Kennzeichnung des Einflusses der Madame Pompadour 1745-1764, personifiziert durch den Erfolg des Malers Francois Boucher). Um 1770 verdrängte das neue Ideal der simplicité (Schlichtheit) die Formen des Rokoko (z.B. das Petit Trianon, ein Lust-Schloss im Garten von Versaille, erbaut von Jacques-Ange Gabriel 1762-1768).

International sind die Übergänge von Spätbarock zu Rokoko stets regional und fallweise zu klären, je nach den unterschiedlichen Rezeptionen und Ausprägungen. Bezieht man Rokoko in der Kunst streng auf das Vorkommen der Rocailles, so wäre konsequenterweise dort von Spätbarock zu reden, wo sie nicht auftritt. Auch die Übergänge vom Spätbarock zum Klassizismus wären dann ohne Aspekte des Rokoko zu analysieren. Kontrovers diskutiert wird nach wie vor, ob Rokoko eine eigene Epochencharakteristik aufweist oder als verfeinerter, überkünstelter  Spätstil des Barock im Sinne eines Dekadenzphänomens zu werten ist (vergleichbar dem Manierismus als Spätstil der Renaissance).

Angelpunkt aller kunsthistorischen Bestimmungen ist die Rocaille als spezifische Ornament-Form des Rokoko. Entstanden aus der Wortkombination von franz. roc (Fels) und coquille (Muschelrand) – Vokabular der Grottendekoration seit dem 17. Jahrhundert -, bezeichnete die Rocaille ein Motiv aus Muschelmaterial. Besonders Juste-Aurèle Meissonier trug zur Verbreitung des style rocaille mit seinem Livre d’ornemens (1734; Buch der Ornamente) bei, worin er Rocaille zu den bizarren, ungewöhnlichen Formen mit pittoresken Effekten zählte. Erstmals findet sich der Begriff in dem Titel einer Stichserie von Jean Mondon (Premier livre de forme rocquaille et cartel ..., 1736). Die forme rocaille in der Ornamentgrafik als ein Impulsfaktor: keine echte Neuerfindung, sondern eine komplexe Fortentwicklung der Ornament- Groteske im frühen 18. Jahrhundert. In Frankreich erfuhr der style rocaille vor allem in der Ausstattungskunst und der Dekoration von Interieurs seine Hochphase zwischen etwa 1730 und 1755/1760, international bis etwa um 1770/80.

Formen der Rocaille treten in zahlreichen Kunstgattungen auf: Goldschmiedekunst, Druckgraphik, Ornament, Malerei, Skulptur Architektur, Garten-Kunst, Porzellan, Möbelkunst, Mode, Kunsthandwerk etc. Ein verbindendes Spezifikum ist die Ornamentalisierung alles Gegenständlichen (...). Dies gilt insbesondere für die Rocaille: Sie besteht aus einer C-oder S-bogenförmigen Grundform in Verbindung mit einem stilisierten Muschelrand und amorph-organischen Binnen- und Randformen, die oft mit Blatt-, Ranken- oder Bandornamenten kombiniert sind und beliebig variieren können. Als Eigenart der Rocaille wird oft die Asymmetrie genannt, doch betrifft dies nur die Grundform. (...) Die Rocaille ist Form des Übergangs zwischen den Bild-, Material- und Objektrealitäten schlechthin; sie kann überall auftreten – im Ornament, an Tafeldekoration und Geschirr, im Bild und auch in der Architektur. (...)" (aus: Enzyklopädie der Neuzeit (Stuttgart, Weimar 2010),  Band 11, Sp. 315-323).

 

Werkbeispiele:

Architektur:

Bildkünste:

Weiterführende Literatur (Auswahl):

  • Baur, Eva Gesine: Rokoko, Hongkong 2007
  • Büttner, Frank (Hrsg.): Barock und Rokoko (= Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland, Band 5), München 2008