"4.2. Altarraum. Der Altarraum (→ Altar) schließt in der Regel an die östliche Schmalseite des Hauptraumes an. Als Grundform hat er entweder einen rechteckigen oder einen halbrunden (apsidialen) Grundriß. Die Apsis ist eine bis ins 13. Jh. hinein häufig verwendete Form des Steinbaus, zu der ein Halbkuppel-Gewölbe gehört. Ummantelte Apsiden, die nach außen als kantige Körper erscheinen, kommen vor. Seit dem 11. Jh. wird den Apsiden bei größeren Bauten meistens ein rechteckiger Raum vorgelegt, der den zum Hauptaltar gehörenden Bereich, das Presbyterium (Sanctuarium), vergrößert und der auch in sonst flachgedeckten Kirchen oft durch ein Gewölbe ausgezeichnet wurde. In der → Gotik wurden an Stelle von Apsiden meistens polygonal schließende Altarhäuser gebaut, die mit dem Vorjoch zu einheitlichen Räumen verschmelzen. Rechteckige Altarräume mit geraden Ostmauern werden in dieser Zeit ebenfalls noch gebaut. In Stifts- und Klosterkirchen liegt vor dem Presbyterium der Chorus mit dem Chorgestühl als Ort des → Stundengebetes, der nach dem Psalmgebet auch als Psallierchor bezeichnet wird. Er öffnet sich zum Hauptaltar hin, wurde aber auf den anderen Seiten mit Schranken umgeben, die im Frühmittelalter brüstungshoch, seit dem Hochmittelalter aber als übermannshohe Mauern ausgebildet sind und auf den Außenseiten oft reich verziert wurden. Seit dem 13. Jh. wurde die dem Langhaus zugewandte Seite der Chorschranken mit einem Lesepult (lectorium) verbunden und so zum Lettner. Der Kreuzaltar, der vor der Chorschranke seinen Platz hat, wurde bei den Kanzellettnern von der Lettnerkanzel baldachinartig überbaut. Hallenlettner, deren Bühne die volle Schiffsbreite einnimmt, können zu Seiten des Kreuzaltars weiteren Altären Platz bieten. Der zum Kreuzaltar gehörende große Kruzifix wurde meist auf oder über dem Lettner angebracht. Die Lettner dienten Lesungen und der Segensspendung bei Hochämtern, um die im Langhaus versammelte Gemeinde in die am Hauptaltar zelebrierte Messe einzubeziehen. Außerdem konnten sie für Reliquienweisungen u. a. m. verwendet werden. Für die Predigt wurden dagegen seit dem 15. Jh. eigene → Kanzeln, meist in der Langhausmitte auf der Epistelseite, errichtet. Die Psallierchöre wurden seit der Gotik gerne mit den Presbyterien zu Langchören zusammengefaßt. Die Bezeichnung „Chor“ als pars pro toto wird seitdem (eigentlich irreführend) synonym mit Presbyterium und Sanctuarium für den Altarraum gebraucht, auch wenn er gar nicht mit einem Chorus verbunden ist. Die Notwendigkeit, im Ostteil von Kirchen weitere Altarstellen zu schaffen, hatte schon bei karolingischen Saalkirchen zur Anordnung mehrerer Apsiden nebeneinander geführt (z. B. Müstair/Graubünden). Den Presbyterien romanischer Kirchen sind oft Seitenräume angegliedert, die die Seitenschiffe fortsetzen und Nebenaltäre aufnehmen. Eine reichere Form bildet der sog. Chorumgang, der um das Sanctuarium herumgeführt ist und Nebenaltarräume zugänglich macht, die radial angeordnet sind und den sog. Kapellenkranz bilden. Der auf diese Weise rings von anderen Raumteilen umschlossene Hauptaltarraum mit dem Chorus wird als Binnenchor bezeichnet. Die Umgangschöre wurden an romanischen Klosterkirchen entwickelt und sind, ebenfalls mit basilikalem Querschnitt, fester Bestandteil des Typus der gotischen Kathedralen in Nordfrankreich geworden. Die Übernahme der Anordnung von Binnenchor und Umgang für spätgotische Hallenchöre zielte mehr auf die Weite des Gesamtraumes als darauf, Einzelräume für Nebenaltäre zu schaffen. Auf den Kapellenkranz ist bei diesen Bauten oft ganz verzichtet worden."
(Aus: Hugo Brandenburg/Walter Haas/Harold Hammer-Schenk, Horst Schwebel:Kirchenbau. In: Theologische Realenzyklopädie, Berlin 1989)
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